Lichttext August 2021
Hirschzungenfarn
Wie häufig findet man einen magischen Ort? Mir ist das noch nicht so oft passiert. Umso überraschter war ich, als ich nichtsahnend auf dem Karstwanderweg am Aussichtspunkt „Hirschzungen-Erdfall“ über das Holzgeländer hinunter in eine vor Jahrhunderten eingestürzte, ehemalige Höhle blickte.
Zuvor waren wir schon einige Zeit durch das Hainholz bei Düna gegangen. Wir folgten dem kleinen Rundweg durch die Gipskarstlandschaft mit ihrem naturbelassenen Wald, als auf einmal ein kleiner, aufgeregter Hund unsere ganze Aufmerksamkeit auf sich zog. Er flitzte oberhalb von steilen Felswänden hin und her und wagte sich beängstigend nah an die Kante. Was gab es dort zu sehen? Warum wollte er unbedingt einen Weg finden, in die Tiefe zu gelangen? „Lucy“, riefen die Hundebesitzer immer wieder, aber die waghalsige Lucy schien taub zu sein. Sie rannte und bellte – und war auf einmal verschwunden.
Jetzt waren auch wir neugierig und schauten von der Aussichtsstelle auf den von Felsen eingekesselten Platz, der wie ein wildromantischer Garten aus einer anderen Zeit aussah. Eine Landschaft für sich, ein verzauberter Mini-Urwald, ein Königreich für mystische Wesen, die unsere physischen Augen nicht erblicken können. Obwohl, bewegte sich da nicht etwas?
Tatsächlich. Die clevere Lucy hatte einen Pfad hinunter in das Märchen-Tal gefunden, das laut Infoschild „Hirschzungen-Erdfall“ heißt, da sich hier der seltene Hirschzungenfarn ein Zuhause gesucht hat. Diese Farnart kommt am Harzrand nur vereinzelt vor und verleiht diesem Ort seinen besonderen Reiz. Für Lucy allerdings nicht langanhaltend. Sie jagte schon längst wieder der nächsten Attraktion hinterher, als wir noch immer verträumt am Holzgeländer standen und den magischen Ort genossen.
Text: Petra Nickisch-Kohnke, August 2021
Fotos: Boris Kohnke
Karstwanderweg
Der Karstwanderweg im Südharz erstreckt sich über rund 240 Kilometer und führt durch Niedersachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt. Er kann auch über einzelne Rundwege erkundet werden. Um zum Hirschzungen-Erdfall zu gelangen, startet man beim Dorf Düna den großen Rundweg (8,5 km) durch das Naturschutzgebiet Hainholz-Beierstein oder den kleinen Rundweg durch das Hainholz.