Lichttext September 2009

Lichttext September 2009

Iran in fünf Tagen

Während mich ein Job in die orientalischen Restaurants Hamburgs führte, war mein Freund Boris zeitgleich im Nahen Osten live vor Ort. Fünf Tage lang prüfte er Labore im Iran – bei 40 Grad Celcius im Schatten. Als Gastautor beschreibt er in diesem Lichttext seine Erlebnisse, die mit seinen Erwartungen an die Reise nur manchmal übereinstimmten.

 

Milad

 

«Etwas ungläubig sehe ich den Telefonhörer an: Ein Auftrag, auf den ich schon lange gewartet habe, die Akkreditierung von zwei Chemielaboren im Ausland. Fünf Tage sind ein enger Zeitplan, aber das passt schon irgendwie. Was dagegen schockt ist der Ort: der Iran. Und ein Labor ist ausgerechnet in Zahedan, direkt an der Grenze zu Afghanistan und Pakistan. Das ist eine Gegend, die ich sonst nur aus den Nachrichten kenne und da hauptsächlich aus den schlechten. Ich muss erst einmal eine Nacht darüber schlafen.

Nur zwei Wochen später lande ich nachts auf dem Imam Khomenei Flughafen in Tehran. Alles ist quirlig und laut. Ich verstehe kein Wort, kann kein Schild lesen und hoffe, dass meine Abholung klappt. Fallah, der die nächsten fünf Tage mein Übersetzer und Organisator sein wird, findet mich trotz Fehlinformation aus Deutschland: „You have to look for a mid sized guy with short blond hair“, hat er als Personenbeschreibung erhalten. Dabei bin ich 1,95 Meter groß und habe lange braune Haare …

Ab geht es in den nächtlichen Stadtverkehr von Teheran. „Teheran is growing faster, than they can build new motorways“, erklärt Fallah. Stimmt, denke ich, zweispurige Straßen, auf denen vier Autos nebeneinander Stoßstange an Stoßstange fahren – und das nach Mitternacht – , viel mehr geht wirklich nicht. Verkehrsregeln scheint es keine zu geben, es wird gehupt, geblinkt und aus dem Fenster gewunken. Mehrmals bremse ich auf der Beifahrerseite mit. Und noch etwas ist anders als in Deutschland: fünf Zentimeter bevor der herannahende Unfall zur Realität wird, bremsen alle Beteiligten ab und gewähren sich überaus höflich die Vorfahrt. Es gibt anscheinend doch Regeln in diesem Chaos.

 

Verkehr

 

Nach einer knappen Stunde erreichen wir das Laleh International Hotel. Fünf Sterne, das beste was Teheran zu bieten hat. Die Lobby ist überwältigend. Allein der funkelnde Kristallleuchter, auf den man vom Eingang aus zusteuert, ist gut 3,50 Meter hoch und sechs Meter breit. Später verrät mir ein Blick ins Bad, dass dieses Hotel in Deutschland einige seiner Sterne abgeben müsste. Da bin ich nun also, mitten im Herzen von Persien, und morgen um vier Uhr früh holt mich Fallah ab, um mit mir in die Drogenmetropole Zahedan zu fliegen. Drei Stunden Schlaf liegen dazwischen, das wird ein spannender Tag.

Als der Wecker klingelt, muss ich erst einmal überlegen, wo ich bin. Der Planet ist schon klar, aber welcher Ort? Ich erinnere mich, Teheran, und in 20 Minuten werde ich ohne Frühstück im Auto sitzen, um mich auf den Weg nach Zahedan zu machen. Auf der Fahrt zum Flughafen klärt Fallah mich darüber auf, dass Ramadan ist. Kein Essen, Trinken oder Rauchen bis der Muezzin den Sonnenuntergang verkündet. Gut, dass ich noch zwei Müsliriegel aus Deutschland habe.

Vier Stunden später fühle ich mich in die Nachrichten der letzten Woche versetzt. In Zahedan sieht es aus wie in einem Bericht über die deutschen Truppen in Afghanistan. Enge Gassen mit offener Kanalisation, Gebäude mit Wachtürmen, Iraner in Tarnkleidung, die sich lässig auf ihre Kalaschnikow lehnen.

Im Labor angekommen wirkt alles vertraut und westlich, die Einrichtung ist neu, die Welt vor der Tür ist weit weg. Unsere Gastgeber kommen in den Raum und ich erinnere mich wieder daran, wo ich bin. Wie eine Gruppe verkehrt gefärbter Pinguine mit ihren schwarzen Kopftuchhauben und den weißen Laborkitteln treten die Laborantinnen langsam und schüchtern auf uns zu. Wie war das? Frauen darf man hier nicht direkt ansprechen und sie gehen immer drei Meter hinter den Männern?

Man gibt den Frauen tatsächlich nicht die Hand, wie bei uns. Aber im Laufe des Tages merke ich, dass die Frauen hier, zumindest beruflich, nicht hinter, sondern weit vor den Männern stehen. Die unscheinbaren jungen Frauen haben alle studiert, haben ihren Master of Science oder Ph. D., teilweise im Ausland erworben. Die Männer zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, dass sie unsere Koffer aus dem Auto tragen oder im Weg stehen.

Etwas später schnattert die Schar verkehrt gefärbter Pinguine wild durcheinander, erledigt routiniert die anfallende Arbeit im Labor oder steht mir in Englisch Rede und Antwort. Auf dem Tisch stehen Kuchen mit Sesam, knallrote Äpfel und etwas, das an Oliven erinnert. Unsere Gastgeber fragen uns, was wir essen wollen. Moment, essen? Und was war mit Ramadan? Das gilt nicht für Reisende, die weiter als zehn Kilometer von zu Hause entfernt sind. Ich bin deutlich weiter als zehn Kilometer von zu Hause weg, also ist bezüglich der Ernährung alles nicht so schlimm, wie ich vermutet habe.

 

Gaz

 

Schon nachmittags ist alles nicht mehr so fremd wie noch am Morgen. Die Arbeitsanweisungen in Farsi sehen zwar immer noch wie kleine Kunstwerke aus, werden aber bei Bedarf schnell ins Englische übersetzt. Die Ziffern kann ich inzwischen auch lesen, und dass wir den 06.06.1388 haben, verstehe ich auch, denn die Zeitrechnung des iranischen Kalenders beginnt mit der Umsiedlung des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina.

Abends treffen wir uns mit unseren Gastgebern, Kunden und Mitinhaber des Labors zu einem Geschäftsessen. Mitten in einem Park ist ein Platz mit vielen gemauerten Plattformen, zwischen denen Wege und kleine Kanäle verlaufen. Auf den Plattformen liegen bunte Orientteppiche , wir sitzen im Kreis auf einem großen blauen Teppich mit vielen kleinen, weißen Seidenkissen. Um uns herum Familien, die wie wir hier essen gehen. Wir rauchen mit Pfefferminz und Apfel aromatisierten Tabak aus goldverzierten Wasserpfeifen, essen gegrilltes Lamm und Huhn, trinken Tee und erzählen und lachen bis spät in die Nacht. 1001 Nacht ist hier noch Realität.

Eine andere Realität holt uns am nächsten Morgen ein: Als wir vor die Tür des Hotels gehen wollen, hält uns der freundliche Portier zurück. „We have a difficult security situation this morning, it is better you stay inside“. Ich erinnere mich an die Warnung auf der Webseite des Außenministeriums „Die Situation in unmittelbarer Grenznähe und in der Provinzhauptstadt Zahedan gilt als gefährlich.“ Eine Polizeieskorte begleitet uns zum Flughafen. Vor uns fährt ein kleines iranisches Motorrad, am Lenker der Polizeichef persönlich, dahinter ein dünner junger Mann in Tarnkleidung, der hin und wieder die Kalaschnikow hebt, damit die anderen Autos anhalten und uns durchlassen.

Ich bin erleichtert, als unser Konvoi am Flughafen ankommt. Wie exotisch ich wirke, wird mir wieder in der Abflughalle bewusst. Zwei Frauen in langen schwarzen Gewändern fotografieren mich von der gegenüberliegenden Sitzreihe mit ihren Designerhandys. Eine kommt verstohlen zu meinem Übersetzer und fragt ihn, woher ich komme. Aus Deutschland, erklärt Fallah. Danach verschicken beide MMS, telefonieren und kichern viel. Auch wenn ich kein Farsi verstehe, der Inhalt der Gespräche ist klar: „Ich habe dir gerade eine MMS geschickt, guck mal, das ist jemand aus Deutschland, so sehen die da aus.“ Ja, denke ich, es ist immer eine Frage des Blickwinkels. Genauso fremd wie alles hier für mich ist, bin ich es für die anderen um mich herum auch.

 

Damavand

 

Zurück in Teheran haben wir beim Anflug einen herrlichen Blick auf den Damavand, den höchsten Berg der Provinz. „Im Sommer brauche ich von meiner Wohnung aus eine halbe Stunde bis zur Talstation der Seilbahn“, sagt Fallah. Man kann hier also das ganze Jahr über Skifahren. Wieder etwas gelernt!

Ich möchte noch Mitbringsel kaufen und bitte Fallah auf der Rückfahrt, mit mir nach typischen Süßigkeiten zu suchen. Wir finden Gaz, den persischen Nougat mit Heidekraut und Pistazien. Fallah kauft noch einen Sack Reis und schenkt ihn mir. „Der ist aus Golestan, der beste Reis auf der Welt“, erzählt er. Als ich den, für iranische Verhältnisse, extrem hohen Preis sehe, bin ich nur noch gespannt, wie der Reis schmecken wird. Daran, dass fünf Kilogramm Reis im Koffer mich deutlich über die Freigepäckgrenzen bringen, denke ich nicht …

 

Reis

 

Fünf Tage sind schnell vorbei und ich sitze wieder in einem Flugzeug der Iran Air, das mich zurück nach Deutschland bringt. Ein letztes Mal überrascht mich der Iran kurz vor der Landung. Fast alle in Mäntel und Kopftuch gehüllten Frauen verwandeln sich auf der Toilette in westliche Schönheiten, so wie sich eine Raupe in einen Schmetterling verwandelt. Kein Kopftuch mehr, dafür Designerkleidung und auffällige Frisuren. Bei einigen Frauen merkt man den Nachholbedarf: Die Absätze sind hoch, das Make-up auffälliger als nötig und die Röcke kürzer, als es ein Spätsommertag in Deutschland erwarten lässt.

Ich hatte viel zu wenig Zeit, all die exotischen Eindrücke um mich herum aufzunehmen. So gern hätte ich noch mehr über das Alltagsleben im Iran erfahren. Doch selbst in den wenigen Tagen habe ich einiges gelernt. Auch wenn vieles für mich als Europäer, der starre Regeln gewohnt ist, chaotisch und unorganisiert wirkt, es gibt auch im Iran Regeln, nur ist das System grundlegend anders. Wenn man sich die Zeit nimmt und genau beobachtet oder einfach fragt, bekommt man schon heraus, wie es funktioniert.

Man muss nicht pauschal vor jedem Schurkenstaat Angst haben. Das in den Medien vermittelte, einseitige Bild des gefährlichen Irans ist, bis auf die Ausnahme Zahedan, weit weg von der Realität. Und was mir besonders wichtig erscheint: Iraner (zumindest die, die ich kennengelernt habe) sind sehr interessierte und freundliche Menschen, die ein Talent dazu haben, auch unmöglich erscheinende Dinge möglich zu machen.

Eines ist sicher: Ich habe noch nicht genügend über den faszinierenden Iran erfahren und ich komme bestimmt wieder.»

Reisebericht: Boris Kohnke
Einführung und Kasten: Petra Nickisch
Fotos: tehran24.com (2), Hansueli Krapf (1), Boris Kohnke (2)


Reis auf vier Arten

Basmatireis ist das Hauptnahrungsmittel im Iran. Abwechslung bietet die Art seiner Zubereitung, die in vier Varianten unterteilt ist. Mit Kartoffel- oder sehr dünnen Brotscheiben bekommt der Reis eine leckere Kruste und nennt sich „Tchelo“: Den vorgekochten Reis in einen mit Butter und Kartoffelscheiben ausgelegten Topf schichten, Deckel drauf und eine Stunde garen. „Pilaw“ heißen Gerichte, bei denen der Reis halb gekocht, halb gedämpft wird und gemeinsam mit Zwiebeln, Gemüse, Fleisch und Brühe in einem Topf schmort. Sowohl gekochter Reis („Kate“) als auch in simmerndem Wasser gegarter Reis („Dami“) werden – wie auch die beiden anderen Reisvarianten – vor dem Erhitzen mit kaltem Wasser gründlich gewaschen.

Persische Restaurants in Hamburg

Der Iran und seine angrenzenden Nachbarn Türkei, Pakistan und Afghanistan sind in Hamburg gastronomisch gut vertreten. Hier eine kleine Auswahl:

Alara (türkisch), Ottensen, Bahrenfelder Str. 158-160, Tel. 28 49 36 61
Apadana (persisch), Univiertel, Grindelhof 77, Tel. 32 03 25 70
Arkadasch (türkisch), Univiertel, Grindelhof 17, Tel. 44 84 41
Balutschistan (pakistanisch), Univiertel, Grindelallee 91, Tel. 41 28 02 46
Hindukusch (afghanisch), Univiertel, Grindelhof 15, Tel. 41 81 64
Pamukkale (türkisch), Schanzenviertel, Susannenstr. 34-35, Tel. 430 24 11
Tehran (persisch), St. Georg, Adenauer Allee 70, Tel. 28 00 89 92