Lichttext März 2014
Plastikzeitalter
Ich schreibe diesen Text auf einem Plastikball sitzend, die Finger tippend auf einer Plastiktastatur, die Augen auf einen Bildschirm mit Plastikgehäuse gerichtet. Ab und zu greife ich zur Plastikmaus, mache mir Notizen mit einem Plastikkuli oder suche in meinen Rechercheunterlagen zum Thema Plastik, die ich in einer Plastikhülle sammele. Das Telefon klingelt. Ich greife zum Plastikhörer. Puh, eine echte Stimme, noch keine aus Plastik. Sie fragt, ob ich nachher noch was zum Abendbrot besorgen kann. In Gedanken formuliere ich meine Einkaufsliste für den Supermarkt. Käse in Plastik, Champignons in Plastik, Nudeln in Plastik … So langsam wird mir das echt zu viel!
Wir haben es uns so bequem, bunt und billig eingerichtet in den letzten 60 Jahren, seit die Kunststoffproduktion so richtig Fahrt aufgenommen hat. Mittlerweile produziert die Welt jährlich 288 Millionen Tonnen Plastik, wie der europäische Branchenverband PlasticsEurope für das Jahr 2012 bekannt gab. Auf den ersten Blick ist ja auch nichts dabei. Erst wenn wir weiter schauen als vor unsere eigene Haustür, erkennen wir, wie sehr wir uns und unseren Planeten bereits zugemüllt und vergiftet haben. Was in Maßen sicher noch verträglich war, hat ungesunde Dimensionen angenommen.
Plastik und seine Bestandteile finden sich überall wieder. Leider auch dort, wo sie überhaupt nicht hingehören. Als hässliche Mülldeko an Straßenrändern und Stränden, als unverdaubare, tödliche Füllmasse in den Mägen von Fischen und Seevögeln, sogar in unserem Blut und Urin sind Weichmacher aus Plastikprodukten längst nachzuweisen. Dorthin gelangen sie, weil Fett oder Flüssigkeiten diese chemischen Stoffe zum Beispiel aus Plastikflaschen oder Innenbeschichtungen von Konservendosen herauslösen. Bisphenol A ist dabei wohl die bekannteste Substanz. Sie ähnelt unserem Hormon Östrogen und kann den menschlichen Hormonhaushalt ziemlich durcheinanderbringen.
Werner Boote, der Regisseur von „Plastic Planet“, versuchte während einer Kunststoffmesse in Düsseldorf den damaligen Präsidenten von PlasticsEurope, John Taylor, dazu aufzufordern, gefährliche Substanzen aus der Plastikproduktion zu eliminieren. „Ich habe hier 700 Studien, die die Gefahr von Plastik beweisen!“, versuchte er sich am Messestand Gehör zu verschaffen. Mit wenig Erfolg. Er musste sich vertrösten lassen und mit seinem knallroten, prallgefüllten Trolley wieder abziehen. Die Industrie interessiert sich nur mäßig für solche Studien. Sie horcht erst auf, wenn Verbraucher protestieren und sich anhaltend weigern, unnötigen Plastiktand zu kaufen.
Diese Verbraucher, das sind wir. Auch ich. Und ich weiß, wie schwierig es ist, seine liebgewonnenen, bequemen Gewohnheiten aufzugeben. Es ist so einfach, vom Schreibtisch aus zu predigen, während man sich selbst gerade (unsichtbar für die Leser) einen Schokoriegel aus der Plastikverpackung pult. Aber wir müssen etwas unternehmen, wenn wir dazu beitragen wollen, unseren Planeten gesund und sauber an die nächsten Generationen zu übergeben. Wir müssen uns informieren und anfangen, neue, kreative Ideen zu entwickeln oder zumindest den guten Beispielen anderer zu folgen. Auf jeden Fall sollte es gelingen, unser Selbstverständnis einzudämmen, mit dem wir tagtäglich so verschwenderisch mit Verpackungsmaterialien aller Art umgehen. Das wäre ein erster wichtiger Schritt.
Was können wir konkret tun?
1.) Plastik vermindern/vermeiden
In seinem Magazin Yourope stellte der TV-Sender arte zum Thema „Kommt nicht in die Tüte – Die Europäer und der Plastikmüll“ eine österreichische Familie vor, die seit vier Jahren Plastik vermeidet. Das klappt nicht zu 100 Prozent, aber Mutter Sandra Krautwaschl ist überzeugt, dass „95 Prozent auch schon ganz ganz viel bewirken“. Die Familie geht mit eigenen Behältern und Taschen Lebensmittel einkaufen, benutzt Holzzahnbürsten und Birkenzucker als Zahnpasta-Ersatz, der einzige Plastikkanister im Haushalt, in der ihr Allzweckreiniger für Wäsche, Geschirr und Haare lagert, lässt sich immer wieder nachfüllen.
Mit ein bisschen Überlegung kann jeder im Alltag seinen Plastikverbrauch reduzieren. Gedankenloses Greifen zum Plastikstrohhalm, zum Coffee-to-go-Deckel oder zu jeder sich bietenden Plastiktüte sollte der Vergangenheit angehören. Kosmetikprodukte oder Putzmittel, die zusätzlich noch mit Mikroplastikpartikeln angereichert sind, dürften erst gar nicht auf die Einkaufsliste kommen. Wie gefährlich diese Kunststoffteilchen für die Umwelt sind, darüber informiert ausführlich der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland.
2.) Alternativen finden
39,4 Prozent der europäischen Plastikproduktion entfielen 2012 auf Verpackungen. Diese müssen aber nicht zwingend aus Plastik bestehen. Häufig reicht auch Papier, Pappe, eine Glasflasche, ein Stoffbeutel – oder gar nichts. Man fragt sich doch: Müssen zwei Bio-Zucchini unbedingt in einem Plastiknetz als Doppelpack angeboten werden? Nein! Müssen Gurken vor dem Verkauf in eine Klarsichtfolie eingeschweißt werden? Nein!
Mittlerweile entstanden Shop-Konzepte wie Unpackaged oder Original Unverpackt, zu denen der Kunde seine eigene Verpackung mitbringen muss, um sich von der Marmelade bis zum Mehl alle Lebensmittel selbst in Gläser oder Boxen abzufüllen. Webseiten wie das „Küste gegen Plastik“-Wiki oder der Blog der Familie Krautwaschl sammeln Tipps zu plastikfreien Produkten, die als Alternativen bereitstehen.
Geht es gar nicht ohne schützende Hülle, ist die Entwicklung von Bioplastik auf dem Vormarsch. Chemische Kunststoffe auf Mineralölbasis bekommen seit einigen Jahren Konkurrenz von Biokunststoffen, die aus Nachwachsenden Rohstoffen bestehen und/oder in industriellen Kompostieranlagen zersetzt werden können. Mais, Kartoffeln, Zuckerrohr kommen hier zum Einsatz. Dafür stehen die Pflanzen aber auf dem Nahrungsmittelmarkt nicht mehr zur Verfügung, was im Moment nur einer von mehreren Kritikpunkten an Biokunststoffen ist. Bis sie zu einem optimalen Ersatz für Plastik heranreifen, wird es leider noch dauern.
3.) Plastik wiederverwenden/recyceln/upcyceln
Die Ökodesignerin Katell Gélébart näht Abendkleider aus Plastiktüten, Eva Ploder von World of Eve verkauft und verleiht recycelte Design-Objekte wie Lampen oder Taschen, Anastasia Baron bastelt aus alten Dia-Rahmen auffällige Visitenkarten – zu sehen auf der inspirierenden Webseite We Upcycle. Kreativität ist gefragt, um „wertlosem“ Abfall neues Leben einzuhauchen.
Wem die Zeit oder die Ideen dafür fehlen, sammelt seine ausgequetschten Zahnpastatuben, leere Stifte oder Trinkpacks und schickt sie an TerraCycle (Foto oben). Je nach aktuellem Sammelprogramm nimmt das Recycling- und Upcycling-Unternehmen die Sammelkartons in seinem Lagerhaus in Stuttgart entgegen und stellt aus dem Material neue Produkte her, vom Rucksack bis zur Gießkanne.
4.) Aufräummethoden entwickeln
An vielen Küsten der Welt starten regelmäßig Sammel- und Reinigungsaktionen. Freiwillige Helfer befreien die Natur dann per Hand von Unrat. Das gelingt zwar mit großen Plastikteilen am Strand, bei Mikroplastikpartikeln im Meer funktioniert diese Methode nicht. Fische verwechseln die unverdaulichen Kunststoffteilchen weiterhin mit Plankton und verhungern mit vollem Magen.
Eine Lösung könnte der niederländische Student Boyan Slat mit seinem Team entwickeln, das derzeit an einem schwimmenden Wasserfilter forscht. Dafür traf er sich auch mit dem Ozeanographen Charles Moore, der entdeckte, dass an bestimmten Stellen im Pazifischen Ozean ein Verhältnis 60:1 von Plastik zu Plankton herrscht. Was Boyan Slat mit seinem Projekt „The Ocean Cleanup“ genau plant, beschreibt ein spannender deutscher Artikel auf WiWo Green.
5.) Sich selbst und andere informieren
Wie immer fließt das Internet über vor Artikeln und Infoseiten zur Plastikproblematik. Natürlich klären Umweltorganisationen wie WWF oder Nabu auf, Nachrichtenmagazine wie Focus oder Der Spiegel berichten, auch Wikipedia ist eine ergiebige Quelle.
Auf den Webseiten von TV-Sendern findet man neben Themenseiten auch Videos. Einfach den Begriff „Plastik“ in das Suchfenster von Das Erste, arte, WDR oder anderer TV-Sender eingeben.
Längere Dokumentarfilme können im Buchhandel gekauft oder in Bibliotheken ausgeliehen werden: von „Weggeworfen“ mit Jeremy Irons (Szenenfoto unten) bis zum bereits erwähnten „Plastic Planet“ von Werner Boote geben sie einen bildgewaltigen, unbedingt sehenswerten Einstieg ins Thema. Selbst Schulen steht mit der DVD „Wie Plastik tötet!“ eine grundschulgerechte Dokumentation von ZDFtivi zur Verfügung.
6.) Neue Wege gehen
Plastikmüll einfach dematerialisieren. Das wär’s. Aber selbst wenn wir den bereits bestehenden Müll von heute auf morgen loswerden könnten, müssen wir uns schnellstmöglich Gedanken machen, wie die Produktion der Gegenwart und Zukunft aussehen soll.
„Cradle to Cradle“ (C2C) ist ein Konzept, dem der Chemiker und Umweltwissenschaftler Prof. Dr. Michael Braungart seinen Namen gab. Statt immer wieder für den Müllberg oder die Verbrennungsanlage zu produzieren, sollten wir nur noch in Kreisläufen denken. Von der „Wiege zur Wiege“ meint, das Ausgangsmaterial ist entweder komplett wiederverwertbar oder vollständig biologisch abbaubar. So entsteht Müll erst gar nicht.
Text: Petra Nickisch, März 2014
Fotos: Petra Nickisch, Thimfilm, Boris Kohnke, Stephan Glinka/BUND, TerraCycle, Tiberius Film
Plastiktüten
Ein EU-weites Verbot von Einwegtüten ist seit längerem in der Diskussion. Nicht nur aus diesem Grund sucht die Deutsche Umwelthilfe (DUH) in einem Wettbewerb für Handelsunternehmen nach Vorschlägen zur Vermeidung von Plastiktüten. Die Bewerbungsfrist endet am 31. März 2014. „In den letzten fünf Jahren haben die Deutschen konstant mehr als fünf Milliarden Einwegplastiktüten verbraucht. Um dieser Ressourcen-Verschwendung endlich ein Ende zu machen, brauchen wir dringend einfallsreiche und innovative Ansätze zum Umstieg auf Mehrwegalternativen.“, sagt der DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Alle Kontaktdaten für den Wettbewerb, außerdem aktuelle News, Zahlen und Fakten zur Plastiktüte, finden sich auf der DUH-Kampagnenwebseite Kommt nicht in die Tüte.